Linda Raschke tradet seit dem Jahr 1981 und ist als Market Wizard aus Jack Schwagers Buchreihe bekannt. Nachdem sie anfangs als Market Maker für Optionen arbeitete, wechselte Linda zum Futures Trading und handelte ab 1992 Managed Accounts und ihren eigenen Hedgefonds. Im Jahr 2015 beschloss sie, in den Ruhestand zu gehen. Doch die Märkte lassen sie nicht los: Auch heute handelt sie von zu Hause aus mit ihrem Privatkonto. Marko Gränitz hat Linda Raschke in Wellington, Florida, besucht und mit ihr über Trading, aber vor allem über ihre Philosophie und ihre professionelle Denk- und Arbeitsweise gesprochen. Herausgekommen ist eines unserer längsten Interviews bisher – seien Sie gespannt!
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» TRADERS´: Linda, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. Sie haben stolze 36 Jahre Trading-Erfahrung – da ist es zugegebenermaßen nicht gerade leicht, die richtige Einstiegsfrage zu finden. Fangen wir einfach damit an: Wie haben sich Ihrer Meinung nach die Märkte in den ganzen Jahren verändert?
Raschke: Die Märkte verändern sich ständig und in der langen Zeit haben sie sich entsprechend deutlich verändert. Ganz entscheidend ist dabei, dass die Märkte heute viel effizienter sind. Dieser Prozess wurde besonders vor etwa 15 Jahren deutlich, als immer mehr Marktteilnehmer schnelles Breitbandinternet zur Verfügung hatten. In der Folge wurden die Bewegungen schneller und die Korrekturen und Konsolidierungen immer verworrener – das Rauschen nahm also zu.
TRADERS´: Haben Sie Ihre Trading-Prozesse daraufhin angepasst?
Raschke: Nein, im Prinzip nicht. Vom Grundsatz her mache ich heute alles immer noch genauso wie Anfang der 90er-Jahre, mit dem Unterschied, dass ich heute nur noch mein eigenes Konto handle. Am Vorabend des kommenden Handelstages bereite ich mich vor. Ich möchte am nächsten Morgen möglichst nicht durch irgendwelche Nachrichten beeinflusst werden, sondern meinen Plan durchziehen. Ab 07:00 Uhr sitze ich am Rechner. Den Markt handle und beobachte ich dann bis zum Schlusskurs. Danach gehe ich trainieren oder zu meinen Pferden, um mich zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen. Und abends, tja, da handle ich dann auch oft nochmal, zum Beispiel Währungen oder Kupfer. Es ist eben immer irgendwo etwas los.
TRADERS´: Die Märkte haben sich also verändert, aber Ihre Prozesse sind immer noch so wie früher. Wie passt das zusammen?
Raschke: Ich bin eine diskretionäre Traderin. Meine Strategien sind nicht in Stein gemeißelt. Die Basics am Markt sind heute ebenso gültig wie früher: Man muss den Trend des jeweiligen Handelstags verstehen, sei es ein Aufwärts-, Abwärts- oder ein Konsolidierungstag, und dann die grobe Handelsidee halbweg umsetzen. Dazu kommt natürlich gutes Risiko- und Money-Management, der Einsatz eines angemessenen Hebels und der wichtige Faktor, es nicht zu kompliziert zu machen. Wer das alles beachtet, wird oft kleine Gewinne und Verluste haben und ab und zu ein „Geschenk“ bekommen, das der Markt überraschend bietet – nämlich dann, wenn es ein Tail-Event gibt und man auf der richtigen Seite steht.
TRADERS´: Sie meinen Fat Tails?
Raschke: Ja genau. Die Märkte tendieren dazu, häufiger extreme Ereignisse auszubilden, als man es erwarten würde. Manchmal laufen die Kurse in Trends viel weiter, als man es jemals vermutet hätte. Kein Mensch kann vorhersagen, wie weit es gehen wird, aber man kann auf die Marktbewegung reagieren.
TRADERS´: Und wie machen Sie das?
Raschke: Wenn es eine unerwartet starke Bewegung gibt, frage ich mich, ob dies vielleicht ein „Outlier“ sein könnte, also eines der Geschenke des Marktes. Wenn ich bereits investiert bin, frage ich mich, ob ich die Position vielleicht weiter ausbauen sollte, um diese Gelegenheit maximal auszukosten. Auf jeden Fall aber muss man versuchen, die Bewegung so gut es geht mitzunehmen und dem Drang zu widerstehen, schnell den Gewinn mitnehmen zu wollen.
TRADERS´: Sie setzen also keine Kursziele?
Raschke: Richtig. Ich begrenze mein Risiko, aber lasse mir die Chance auf eine große Bewegung in meine Handelsrichtung offen. Wer bin ich denn, um vorhersagen zu können, wie weit der Markt laufen wird? Niemand kann so eine Prognose treffen. Es geht stattdessen darum, flexibel zu sein und mit dem Markt zu arbeiten – im positiven wie im negativen Fall. Man muss also zugeben können, wenn man falschliegt, und entsprechende Konsequenzen ziehen. Nur so ist es möglich, sich nicht selbst in eine Ecke zu handeln, wo man plötzlich mit dem Rücken zur Wand steht.
TRADERS´: Wie erkennen Sie, ob der Markt gerade „läuft“?
Raschke: Die besten Chancen bieten sich oft zu Beginn des Handelstags. Besonders in den ersten 15 bis 30 Minuten schaue ich genau, ob der Markt – insbesondere der S&P Future – Zeichen für die Ausbildung einer Unterstützung oder eines Widerstands gibt. Ganz klare Signale gibt es im Prinzip nie, aber meine Erfahrung ermöglicht mir recht oft einen ziemlich guten Riecher. Zum Beispiel ist der Markt manchmal direkt ab der Eröffnung stark, andere Male macht er einen Pullback und wird dann stark. Hier muss man gut beobachten, flexibel denken und auf subtile Details im Kursverhalten achten. Da macht sich wieder der Wert der Erfahrung bemerkbar, der durch nichts zu ersetzen ist. Das ermöglicht es mir, die Relation der Dinge zueinander zu beurteilen und strategisch gute Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Für diskretionäre Trader kommt es also vor allem darauf an, ein ausgezeichneter Tape Reader zu sein, also das Kursverhalten gut interpretieren zu können.
TRADERS´: Handeln Sie immer noch Ihre klassischen Strategien wie Spike & Ledge, Holy Grail und Near Range Seven oder haben Sie diese bis heute weiterentwickelt?
Raschke: Die grundlegenden Strategien funktionieren weiterhin, aber ich sehe die Handelsregeln nicht als in Stein gemeißelt an. Man muss möglichst wenige feste Variablen haben und in der Lage sein, die Kriterien etwas freier zu interpretieren – im Sinne eines Modells anstatt einer fixen Handelsstrategie. Die Märkte wiederholen ihre Muster schließlich nie ganz exakt, sondern immer nur in ähnlicher Art und Weise. Je starrer die Regeln und je mehr Bedingungen es insgesamt sind, desto öfter wird die Umsetzung irgendwo scheitern. Die Strategien und Muster sind also nur zur Orientierung da, um Struktur ins Chaos zu bringen und mir Referenzpunkte zu geben, an denen ich mich orientieren kann. Es sind „Abkürzungen“, mit denen man das Marktverhalten in den entscheidenden Momenten oft richtig beurteilen kann – nicht nur von der Kursentwicklung her, sondern auch anhand des Zeitpunktes innerhalb des Handelstages, an dem diese Bewegungen auftreten.
B1) Long Trade USD/JPY
Nach zwei Abwärtstagen innerhalb des Aufwärtstrends klassifizierte Linda Raschke in ihrer abendlichen Analyse den folgenden Tag als potenziellen Kauftag. Der Markt eröffnete höher und bestätigte die Idee. Bis zum Schlusskurs zeigte der Markt Stärke, sodass sie den Trade über Nacht hielt und erst am folgenden Tag glattstellte.
TRADERS´: Auf welchen Zeitebenen handeln Sie?
Raschke: Daytrading, Swing Trading und ein paar längerfristigere Positionen. Seit dem ersten Tag, an dem der S&P Future handelbar war – dem 21. April 1982, habe ich ihn gehandelt. Und zwar aktiv im Daytrading. Heute mache ich etwa zwei bis drei Trades am Tag. Ich konzentriere mich im Daytrading auf diesen Markt, da man nicht ständig mehrere Märkte gleichzeitig intraday handeln kann. Wenn ich um Positionen herum trade, nehme ich je nach Marktentwicklung Kontrakte (oder Aktien, je nachdem) hinzu oder baue die Position ab. Wichtig ist dabei, einen klaren Plan zu haben, damit man nicht anfängt, immer nur dem Markt hinterherzurennen oder die großen Bewegungen zu verpassen.
TRADERS´: Handeln Sie auch bei News?
Raschke: Oh ja, sehr gerne! News sind super, da niemand weiß, was passieren wird. Das schafft Volatilität und damit hervorragende Handelsgelegenheiten.
TRADERS´: Welche Märkte handeln Sie heute?
Raschke: Fast nur Futures, ganz selten mal Aktien. Es ist einfach super, wie man bei Futures schnell in den Markt rein- und wieder rausgehen kann. Ich handle vor allem den S&P 500, US-Bonds, Währungen und Rohstoffe, aber keine Soft Commodities mehr, die sind mir zu erratisch.
TRADERS´: Warum kaum noch Aktien?
Raschke: Man kommt nicht mit einem Schlag rein oder raus. Es ist sehr mühsam, sich langsam scheibchenweise in 50er- oder 100er-Blöcken ein Aktienpaket mit beispielsweise 20 000 Stück zusammenzukaufen. Und wenn dann plötzlich etwas passiert, komme ich nicht schnell raus, es ist eher wie ein großer Klumpen.
TRADERS´: Sie haben früher als Market Maker mit Optionen gearbeitet, da hatten Sie doch sicher ständig noch viel mehr offene Klumpenpositionen, oder?
Raschke: Ja, durchaus. Allerdings hatte man als Market Maker damals auch einen schönen Vorteil am Markt, weil die Preise noch ineffizient waren. Diesen Vorteil habe ich heute mit einer großen Aktienposition nicht. Ich frage mich also, warum ich mich im elektronischen, schnellen Markt von heute noch mit einer schwerfälligen, in Sachen Ausführungsqualität riskanten Aktienposition herumschlagen soll, wenn ich bei Futures schnell und einfach rein- und rauskomme.
B2) Vola-Kontraktion im Dow Jones
Früher hätte Linda Raschke eine Niedrigvolatilitätsphase wie im Januar im Dow Jones (siehe niedrige ATR-Werte) eher als Chance für einen antizyklischen Short Trade interpretiert. Doch die Erfahrung sagt ihr, dass dies nicht richtig erscheint und der Markt vielleicht noch weiter steigt. Stand dieser Analyse war der 09. Februar 2017. Im Vorhinein war es unmöglich, zu wissen, in welche Richtung sich der Kurs ausgehend vom markierten Bereich entwickeln würde, also musste man abwarten, bis der Markt ausbricht.
TRADERS´: Haben Sie verschiedene Konten, um Ihre Modelle und Strategien mental besser voneinander trennen zu können?
Raschke: Nein, dazu gibt es keinen Grund. Ich handle alles aus einem Konto heraus, das ist am einfachsten. Ich denke, dass man sich nicht verzetteln sollte, nur um sich subjektiv vielleicht irgendwie besser zu fühlen.
TRADERS´: Auf welche Indikatoren schauen Sie?
Raschke: Ich denke, dass die meisten Indikatoren fürs Trading überflüssig und nichts als eine Ablenkung sind. Eigentlich reicht es schon, einen einfachen Balken-Chart zu haben und ein paar Trendlinien und Kanäle einzuzeichnen. In einigen meiner Charts sind aber durchaus einzelne Indikatoren drin, wie beispielsweise der Moving Average Convergence/ Divergence (MACD)*, die Rate of Change (RoC)*, Gleitende Durchschnitte (GD)* oder Keltner Channels*. Wirklich erfolgreiche Trader, die mit großen Positionen handeln, schauen aber nicht einfach auf einen simplen technischen Indikator, der ihnen dann sagt, wann sie ein- oder aussteigen sollen. Mal im Ernst: Wer glaubt denn wirklich, dass es so einfach funktioniert?
TRADERS´: Wer wirklich gut ist, verrät meist nicht viel. Deswegen können die Einsteiger auch nicht wissen, wie die Profis wirklich traden.
Raschke: Das stimmt. Und im institutionellen Bereich ist es noch viel ausgeprägter. Die besten Trading-Firmen agieren komplett unterhalb des Radars der Öffentlichkeit – und das aus gutem Grund. Schließlich möchte hier niemand im Ansatz verraten, was wann wie gehandelt wird. Das gilt ganz besonders im Quant-Bereich, wo theoretisch alles schnell kopiert werden kann. Über manche Firmen wie beispielsweise Renaissance Technologies ist bekannt, dass sie über Jahre extrem erfolgreich waren und es noch immer sind, aber niemand weiß, was sie eigentlich genau machen. Sonst würde es schließlich auch nicht funktionieren.
TRADERS´: Sie haben sich auch mit Handelssystemen beschäftigt, oder?
Raschke: Ich bin ein diskretionärer Trader. Systeme sind grundsätzlich eine gute Sache und sie funktionieren bei entsprechend professioneller Erstellung sicherlich auch gut. Man kann Systeme als eigene Indikatoren verwenden, aber das mache ich nicht. Ich nutze Signale von Systemen auf andere Art und Weise – nämlich so, dass ich mir einen Vorteil erarbeiten kann. Ich habe, wie schon erwähnt, viele einfache Modelle mit nur ein oder zwei Variablen und einem Filter wie dem Handelsvolumen. Diese Modelle sind sehr robust, da sie recht allgemein gehalten sind. Ich denke mich dann in der jeweiligen Situation in ein System hinein, bei dem ich in etwa einschätzen kann, wo der Einstieg und der Stopp liegen würden, wenn der Markt sich wie erwartet verhielte, und dann versuche ich einen besseren Trade zu machen.
B3) Den Retest handeln
Linda Raschke handelt gern den Retest eines Levels, hier für die Long-Seite dargestellt. Ideal ist dabei, wenn der übergeordnete Trend aufwärts zeigt, sich in einem Abverkauf ein erstes deutliches Tief herausbildet und dieses dann getestet
wird. Ein Einstieg im Bereich dieses Tests ist oft ideal. Man handelt hier einerseits opportunistisch, andererseits ist der übergeordnete Trend in Trade-Richtung immer hilfreich. Je nach Marktverhalten kann man per Limit- oder Markt-Order einsteigen, also das Level antizipieren (Limit) oder auf eine erste Bestätigung dafür warten, dass der Retest tatsächlich hält.
TRADERS´: Haben Sie dazu ein Beispiel?
Raschke: Es ist im Prinzip ganz einfach. Schauen wir uns den Tages-Chart des USD/JPY an (Bild 1). Innerhalb des kurzfristigen Aufwärtstrends gab es zwei deutliche Abwärtstage. Meist gibt der Markt nicht viel mehr an Gegenbewegung her, sodass ich hier am Folgetag einen Kauftag erwartete, solange der Markt dies nicht widerlegt. Das ist ein schönes, einfaches, allgemeines Modell. Der Markt eröffnete am nächsten Tag bereits mit einem bullischen Gap Up (Aufwärtskurslücke). Das wahrscheinliche Szenario war nun ein höherer Schlusskurs. Im Systemdenken würde das bedeuten, zum Schlusskurs zu kaufen, da dies den bullischen Trend bestätigt. Ich denke mir also: Was wäre, wenn ich an einem solchen Kauftag zum Schlusskurs kaufen würde? Und dann stelle ich das auf den Prüfstand und frage mich: Wie viel besser wäre es dann, bereits jetzt oder im Tagesverlauf noch viel günstiger reinzukommen? Ich denke also: Wow, ich bin ein Genie, ich kann günstiger kaufen als das System zum Schlusskurs. Das klingt vielleicht etwas euphorisch, aber macht den Punkt klar, um den es mir geht. Und wenn es dann tatsächlich zum starken Schlusskurs kommt, wird es am Folgetag sicherlich nochmals eine Anschlussbewegung geben, was in diesem Fall perfekt klappte. Es war insgesamt ein starkes Long-Szenario bei begrenztem Risiko.
TRADERS´: Dieser Gedanke ist hervorragend, um Selbstvertrauen für diskretionäre Entscheidungen zu schaffen. Würden Sie zur Absicherung einen Stopp setzen?
Raschke: Das kann man machen, aber meist bin ich ohne Stopp unterwegs. Was nicht bedeutet, dass ich nicht reagieren würde, wenn der Markt mein Szenario eindeutig widerlegt – zum Beispiel, wenn der Markt bis ans Tief läuft und es durchbricht. Im guten wie im schlechten Fall passe ich mich an und entscheide neu, was nun die richtige Entscheidung ist. Ganz wichtig sind dabei Zeitstopps. Wenn der Markt nicht bis zu einer bestimmten Zeit anläuft, wird die Position zunehmend riskanter und ich gehe wieder raus. Die besten Trades funktionieren nämlich sofort. Viele Trader denken nicht daran, dass man so auch mit dem Faktor Zeit seine Chancen und Risiken managen kann.
TRADERS´: Das klingt einleuchtend. Aber für Einsteiger ist es auch recht komplex, die Märkte sowie Sie zu durchdenken.
Raschke: Mit Sicherheit. Genau deswegen braucht es viel Erfahrung im diskretionären Trading. Das ist der entscheidende Faktor. Und diese Erfahrung zu sammeln, dauert ewig. Oder zumindest viel länger, als man es sich als Einsteiger vorstellen kann. So wie in jedem anderen Beruf. Ein Arzt zum Beispiel muss einfach alles Mögliche gesehen und erlebt haben, um möglichst oft die richtige Antwort oder Handlung zu kennen. Ein erfahrener Arzt ist routiniert – er weiß, was alles schiefgehen kann, aber auch, wie er in den verschiedensten Situationen am besten reagieren sollte. Seine Erfahrung hilft ihm, sich in unsicheren Situationen auf die entscheidenden Details zu konzentrieren und bestimmte Muster zu erkennen, um dann die beste Entscheidung zu treffen. Ein junger Arzt ist demgegenüber vielleicht viel akribischer, aber sobald etwas Unvorhergesehenes passiert oder er mit einer ganz neuen Situation konfrontiert wird, fehlt ihm die Erfahrung, um zu entscheiden, was zu tun ist.
TRADERS´: Und das, obwohl der junge Arzt eine hervorragende Grundlagenausbildung hat.
Raschke: Ja, nur machen ihn die Grundlagen allein nicht zu einem hervorragenden Arzt. Vielleicht passt auch ein Vergleich mit dem Sport ganz gut. Jeder Profi, der es weit gebracht hat, entwickelte seinen eigenen Stil. Sei es die spezifische Schlägerhaltung beim Golf oder eine ausgeklügelte Schlag- beziehungsweise Fangtechnik beim Baseball. Ganz ähnlich ist es im Trading. Man muss sich sein eigenes kleines Universum schaffen, sich eigenständig weiterentwickeln und gewissermaßen besessen genug sein, sich jeden Tag stundenlang damit zu befassen, einen Weg zu finden. Irgendwann kann man auf der Basis von Erfahrungen auf eine Bibliothek an Mustern zurückgreifen, die es ermöglicht, in bestimmten Situationen schnell die wichtigsten Details zu identifizieren, auf die es bereits in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen ankam.
TRADERS´: Letztlich basieren diese Muster aber auch wieder auf Interpretationen.
Raschke: Stimmt, aber mit viel Erfahrung geht das alles sehr schnell und ohne großes Nachdenken. Ein Beispiel: Wenn der Markt eröffnet, ist es entscheidend, herauszufinden, wie der Tagestrend aussehen könnte (falls es überhaupt einen klaren Trend gibt). Ich bekomme ein Gefühl dafür, wenn ich mir anschaue, wie viele Aktien neue Hochs und wie viele Aktien neue Tiefs erreichen und wie sich der Markt im kurzfristigen Zeitrahmen bewegt. Statt aber erst großartig auszuwerten, erkenne ich schnell bestimmte Muster darin, wie sich die Statistiken und Muster kurzfristig verändern.
B4) Beispiel Retest
Linda Raschke handelt oft ausgehend von Swing Highs und Swing Lows. Der Chart zeigt ein Beispiel bei Gold, wo sich im März im Rahmen eines Retests des vorherigen Tiefs ein höheres Tief ausbildete. Dies bot eine klassische Long-Einstiegschance.
TRADERS´: Der beste Zeithorizont, den man also analysieren kann, ist der aktuelle Realtime-Kurs?
Raschke: Letztlich ist das der niedrigste Zeitrahmen, nichts ist aktueller. Für mein Trading schaue ich auf den 5-Minuten-, 2-Stunden- und den Tages-Chart. Der Tages-Chart ist entscheidend für das Erkennen der Marktstruktur. Zwar gibt es hier je Markt vielleicht nur alle zwei bis drei Monate eine hervorragende Formation, aber dort kann ich dann großes Geld verdienen. Die meiste Zeit handle ich also auf den kleineren Zeitebenen. Wenn ich mich für einen einzigen Zeitrahmen entscheiden müsste, würde ich auf 2-Stunden-Basis analysieren.
TRADERS´: Haben Sie mal einen großen Verlust gemacht, der Ihnen heute noch im Gedächtnis ist?
Raschke: Durchaus. Ich kann mich erinnern, mal 800 Futures-Kontrakte im S&P 500 Short gewesen zu sein. Das war an einem Freitag. Nach dem Schlusskurs wurde die Übernahme beziehungsweise Rettung von Fannie Mae angekündigt und als der Future am Sonntagabend eröffnete, war das Gap fast 40 Punkte gegen mich. Und dennoch habe ich es geschafft, den Monat am Ende mit Gewinn abzuschließen.
TRADERS´: Klingt nach einer ziemlichen Katastrophe. Wie haben Sie reagiert?
Raschke: Das Wichtigste ist, niemals emotional zu reagieren. Ich denke immer „businesslike“ und frage mich, was in der jeweiligen Situation zu tun ist – also wie die strategisch richtige Entscheidung aussieht. Man hat am Markt keine Zeit, wegen Verlusten depressiv oder handlungsunfähig zu werden. Es ist ein bisschen wie bei einem Soldaten im Krieg, der auch keine Zeit mit seinen Emotionen verschwenden sollte, wenn ihm die Kugeln um die Ohren fliegen. Er muss stattdessen die richtigen Entscheidungen treffen und agieren. Am Markt geht es zwar „nur“ um Geld und nicht um unser Leben, aber der Vergleich passt ganz gut.
TRADERS´: Sie hatten über viele Jahre einen sehr erfolgreichen Hedgefonds, der auch im Barclay-Ranking ganz oben mit dabei war. Sie müssten schon lange nicht mehr arbeiten, geschweige denn traden. Aber Sie sind immer noch mit viel Energie dabei, sowohl in der abendlichen Vorbereitung als auch meist den ganzen Handelstag über vor Ihren zehn Bildschirmen (wenn ich richtig gezählt habe). Was begeistert Sie so sehr, dass Sie immer noch dabei sind?
Raschke: Ich trade, weil ich es liebe. Die Märkte sind wie ein Strategiespiel für mich. Ich mag solche Spiele – vor allem, weil ich weiß, wie man auf lange Sicht gewinnt. Nachdem ich sozusagen in Rente gegangen bin und eine Weile Abstand von den Märkten hatte, dauerte es kaum sechs Monate, bis ich mich langweilte. Also habe ich wieder angefangen. Es ist für mich ein Spiel wie Poker oder Bridge. Es geht dabei nicht ums Geld, sondern darum, auf lange Sicht mit strategisch richtigen Entscheidungen zu gewinnen. Und wenn ich mich entscheide mitzuspielen, dann nehme ich es auch ernst und will erfolgreich sein.
B5) Chaos-Trading-Modell beim S&P
Dieser Chart ist ein gutes Beispiel dafür, dass die besten Bewegungen nicht unbedingt dann auftreten, wenn die Indikatoren überkauft oder überverkauft sind. Mitunter entstehen Bewegungen, wenn der Markt gerade im Gleichgewicht ist. Was zunächst wenig intuitiv erscheint, lässt sich hier im E-mini-S&P-Tages-Chart gut beobachten. Dazu sind im Sub-Chart viele verschiedene Periodeneinstellungen des gleichen Indikators, der Rate of Change, dargestellt. Dort wo die Indikatoren alle sehr nahe beieinanderliegen und sich kaum bewegen, der Markt also im Gleichgewicht ist, entsteht eine große Bewegung, in diesem Fall nach unten. Das Prinzip ähnelt dem Rainbow Chart mit Gleitenden Durchschnitten. Wenn die Bewegung dann tatsächlich kommt, weiß Linda Raschke, dass sie an Bord bleiben muss und auf keinen Fall gegen den Trend ankämpfen sollte. Interessant ist zudem die umgekehrte Beobachtung, dass ein großer Abstand zwischen den einzelnen Rates of Change einen exzessiven Markt kennzeichnet, in dem es sich anbietet, Volatilität zu verkaufen (zum Beispiel mit Optionen). Auf den ersten Blick erscheint dies zwar beängstigend, da der Markt so volatil ist, aber meist geht die Rechnung auf und es folgt eine Seitwärtsbewegung und/oder Beruhigung.
B6) Chaos-Trading-Modell beim Dollarindex
Hier ist das gleiche Prinzip wie in Bild 5 zu sehen. Aus einem Gleichgewicht heraus entstand im Tages-Chart des Dollarindex eine starke Bewegung, in diesem Fall nach oben.
TRADERS´: Trading ist also ein Spiel für Sie?
Raschke: Ja. Ich schaue dabei kaum auf den Kontostand. Das würde mich unnötig positiv oder negativ beeinflussen, aber nichts daran ändern, dass ich beim nächsten Trade einfach wieder die richtige Entscheidung treffen muss. Und wenn man immer die richtigen Entscheidungen trifft, dann stimmt die Performance auf lange Sicht einfach. So war das schon zu Zeiten meines Hedgefonds. Zwar bekam ich durch das regelmäßige Reporting die prozentualen Veränderungen mit und wusste, dass wir gut im Rennen liegen. Aber ich habe nie wirklich ausgerechnet oder nachgeschaut, was meine Anteile gerade wert waren. Und das, obwohl ich so ziemlich mein gesamtes eigenes Geld im Fonds investiert hatte. Erst viel später wurde mir bewusst, wie viel es über die Jahre geworden war, auch wegen des Zinseszinseffekts – ich konnte es kaum fassen. Ich war die ganze Zeit über eher selbstkritisch und hatte einfach nicht damit gerechnet, wie gut es laufen könnte.
TRADERS´: Sie haben über Jahre nicht gewusst, wie hoch Ihr Vermögen ist?
Raschke: Wir hatten ja die Gebühren des Fonds, die sämtliche Kosten deckten. Und aus den regelmäßigen Reportings wusste ich grob, dass es gut aussieht. Also musste ich mir keine Sorgen machen. Was ich aber ganz sicher regelmäßig machte, war eine Analyse der grundsätzlichen Trading-Statistiken: Die Anzahl meiner Trades, die Trefferquote, meine Positionsgrößen und so weiter. Das hat mir geholfen, immer prozessorientiert zu denken, und darauf kommt es an, wenn man die strategisch richtigen Entscheidungen treffen möchte.
TRADERS´: Gefällt es Ihnen inzwischen besser, privat zu traden?
Raschke: Durchaus. Im Fonds gab es viel Papierkram für regulatorische Anforderungen, Details zur Buchführung und Termine mit Anwälten und Investoren. Hinzu kam das interne Personalmanagement. Das alles war sehr zeitintensiv und lenkte mich oft vom eigentlichen Trading ab. Ich handle heute mit kleinerem Risiko, weil ich nicht traden muss, um Geld zu verdienen, sondern weil es mir Spaß macht. Daher kann ich oft auch ohne festen Stopp traden, wobei ich aber immer auch zeitliche Stopps beachte, wenn der Trade nicht anläuft. Bei meinem Hedgefonds war das ganz ähnlich – dort verwalteten wir eine dreistellige Millionensumme und konnten auch nicht einfach Stopps für unsere Trades in den Markt legen, geschweige denn mit einem Schlag ein- oder aussteigen. Letzteres ist heute für mich viel besser, da ich kleiner handle. Ich bekomme also schnellere und bessere Ausführungen. Was mir allerdings fehlt, ist der regelmäßige Dialog mit Kollegen, oder nennen wir sie „Trading Buddies“, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin und Sachen austauschen und diskutieren kann. Fernsehen, Webseiten, Chatrooms und so weiter sind da leider keine Alternativen. Zwar habe ich ein paar gute Trading-Freunde in meinem privaten Chat, aber auf Dauer ist es nicht das Gleiche. Man braucht einfach ab und zu einen Sparring-Partner, mit dem man Ideen und Konzepte durchdiskutieren kann. Ich mache das gern und so oft wie möglich, zum Beispiel mit meinem alten Trading-Freund Larry McMillan.
TRADERS´: Wie sehen Sie automatisiertes Trading? Raschke: Das ist ein ganz anderes Business. Dort geht es darum, statistische Effekte im großen Stil auf allen möglichen Ebenen auszunutzen, auf allen Märkten, allen Zeitebenen und rund um die Uhr. Dazu bedarf es einer hochentwickelten Infrastruktur, aber für die besten Firmen zahlt sich das aus – einige haben fast keine Verlusttage. TRADERS´: Was würden Sie Einsteigern empfehlen?
Raschke: Man muss eigene Erfahrungen sammeln, und zwar mit echtem Geld und nicht auf einem Demokonto. Wer so klein handelt, dass es ihm nichts ausmacht, der lernt nicht wirklich. Wer dagegen zu groß handelt, bekommt schnell Angst und wird emotional, was ebenfalls nicht gut ist. Während man Erfahrungen sammelt, sollte man stets für neue Ideen offen sein und verschiedene Dinge ausprobieren, das treibt den Lernprozess voran – Trendfolge, Spread Trading, Saisonalitäten, Market Profile und so weiter. Hat man eine Strategie gefunden, die funktioniert und die man sauber umsetzen kann, geht es vor allem um die konsistente Anwendung – und zwar auch dann, wenn es gerade mal nicht ganz so gut läuft. Man kann nie wissen, ob vielleicht schon der nächste Trade zu einem großen Gewinn wird. Der nächste Schritt ist es dann, die entscheidenden Komponenten des eigenen Handelsstils zu extrahieren und den ganzen Rest wegzulassen. Man muss das Minimum an Sachen finden, die man für sein Trading braucht, um den Prozess einfach und schlank zu halten und sich nicht zu verzetteln.
TRADERS´: Was ist aus Ihrer Sicht der wichtigste Lerneffekt?
Raschke: Diese Antwort wird vielleicht viele überraschen, aber das Entscheidende ist, was man über sich selbst lernt. Man lernt, wie man unter Druck reagiert, wie man sich bei Gewinnen und Verlusten fühlt und wie man sich verhält, wenn plötzlich unerwartete Dinge passieren.
TRADERS´: Trader lernen also am meisten aus schmerzlichen Verlusten?
Raschke: Ich würde nicht von Schmerzen sprechen. Man lernt aus Verlusten. „Schmerzen“ klingt viel zu emotional. Bei einem einzelnen Trade ist es schließlich immer so, dass eine der beiden Parteien verlieren muss. Das ist ganz normal. Selbst dann, wenn man alles richtig macht, muss man verlieren können. Das ist wieder ganz ähnlich wie im Sport, wenn beispielsweise zwei Tennisprofis gegeneinander spielen: In einem einzelnen Match kann es gut sein, dass beide super spielen, aber einer muss verlieren. Man sollte natürlich aus Fehlern und Verlusten lernen, aber das Ganze eher als Datenpunkt sehen, nicht als Schmerz.
TRADERS´: Das könnte auch dabei helfen, mental stärker zu sein, weil man Verluste und Fehler nicht persönlich nimmt.
Raschke: Als Trader muss man gerade in schwierigen Phasen immer fest davon überzeugt sein, dass man früher oder später alles wieder zurückholen und zusätzliche Gewinne machen kann. Der Markt wird uns schließlich immer wieder eine neue Chance bieten. Wer aus Erfahrung gelernt hat, wie es geht und an sich glaubt, für den bietet dieses Spiel im Prinzip keine Grenzen.
TRADERS´: Empfinden Sie Trading zumindest als anstrengend oder fällt es Ihnen aufgrund Ihrer Erfahrung eher leicht? Raschke: Man sollte nie denken, dass Trading leicht ist. Ich spüre, dass ich heute weniger Energie habe als früher und ich brauche mehr Schlaf, um am nächsten Tag fit fürs Trading zu sein. In meiner Karriere hatte ich stressbedingt auch viele Jahre lang zu hohe Cortisolwerte, weshalb ich heute Medikamente nehmen muss – deswegen versuche ich, mir mit meinem privaten Trading aktuell keinen unnötigen Stress mehr zu machen.
B7) Einfache Muster
Die häufigsten Trading-Auslöser für Linda Raschke sind grundlegende Strukturen wie Swing-Hochs- und -Tiefs, Tests von Kurslevels, Ausbrüche und Retracements. Der Chart zeigt exemplarisch eine Analyse der 30-jährigen US Treasuries auf dem 4-Stunden-Chart mit entsprechenden farblichen Markierungen der einzelnen Bewegungen.
TRADERS´: Woran erkennen Sie einen guten Trader?
Raschke: Die besten Trader, die ich kenne, jammern ständig, geben nicht mit ihren Gewinnen an und reden auch sonst nicht darüber, wie oder wie viel Geld sie am Markt verdienen. Und noch etwas Wichtiges: Die besten Trader betreiben keine Marketing-Show im Internet oder auf Trading-Messen, sondern möchten am liebsten unterhalb des Radars der Öffentlichkeit bleiben.
TRADERS´: Was machen Sie abseits der Märkte, zum Beispiel, wenn Sie Urlaub nehmen?
Raschke: Ich fahre gern in den Urlaub, aber habe es in den letzten zehn Jahren leider nur zweimal geschafft, wirklich wegzufahren. Zum Beispiel waren wir erst vor einer Weile in Europa und haben eine Kreuzfahrt auf der Donau gemacht, ein Stück davon auch in Deutschland. Ich brauche im Urlaub etwas Abenteuer, nur am Strand zu liegen, wäre mir viel zu langweilig. Statt in den Urlaub zu fahren, kann ich mich aber auch sehr gut entspannen, wenn ich bei meinen Pferden bin und reiten gehen kann. «
Ein Interview mit Linda Raschke. Wir danken traders-mag.com für die Zusammenarbeit.
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