Orderflow Trading wurde in der englischsprachigen Trading-Szene in den letzten Jahren enorm gehypt, während es im deutschsprachigen Raum weniger bekannt ist und von manchen als „Geheimtipp“ oder gar als das „einzig wahre Trading“ gehandelt wird. Das heißt aber nicht, dass man hier den in Trader-Kreisen sprichwörtlichen Heiligen Gral finden kann. In diesem Artikel schauen wir uns an, was Orderflow Trading wirklich ist.
Wer aktive Märkte wie die großen Aktienmarktindizes oder die wichtigsten Währungspaare beobachtet, der wird schnell feststellen, dass das Marktgeschehen zu verschiedenen Tageszeiten einen unterschiedlichen Charakter hat: So sind die Märke regelmäßig in den ersten ein bis zwei Stunden nach Öffnung der Hauptbörsen (vormittags die europäischen, nachmittags die US-Börsen) besonders lebhaft, abends dagegen wie ausgestorben. An vielen Märkten ist es zwar heutzutage möglich, quasi 24 Stunden am Tag zu handeln. Doch einen Großteil der Zeit bewegen sich die Kurse nur in einem engen Bereich, also so, dass der kurzfristig orientierte Daytrader es mit bloßem Rauschen (Noise) zu tun hat.
Hier sollte er besser nicht traden, denn die Wahrscheinlichkeit von Kursbewegungen kann nicht abgeschätzt werden und das Risiko ist somit zu hoch. Der Daytrader benötigt unbedingt Kursbewegungen, die er antizipieren und mit kontrolliertem Risiko traden kann. Hier kommt das Konzept des Orderflow ins Spiel.
Viele Privat-Trader machen sich nicht hinreichend klar, dass Kursbewegungen an den Märkten ausschließlich durch die konkreten Handelsaktivitäten der Marktteilnehmer verursacht werden: Der Kurs steigt, wenn und weil die Kaufaktivität gegenüber der Verkaufsbereitschaft auf einem Preislevel überwiegt. Der Kurs fällt, wenn der umgekehrte Fall eintritt. Führen die Marktakteure keine Handelsaktivitäten durch, so passiert auch nichts im Markt.
Die sich über die Zeit hinweg entfaltenden Kauf- und Verkaufsaktivitäten nennt man Orderflow. Es ist der Fluss an eingehenden und ausgeführten Kauf- und Verkaufsorders. Dieser Orderflow bewegt den Markt. Er ist aber niemals konstant, sondern verändert phasenweise seinen Charakter, und zwar abhängig von den Handelsaktivitäten der Marktteilnehmer. Mal kommen in kurzer Zeit viele Orders in den Markt, mal sehr wenige. Mal ist es ein diffuses Durcheinander von Käufern und Verkäufern und mal überwiegt eine Seite. Dass der Orderflow und die dadurch ausgelösten Kursveränderungen oft auch schubweise und wellenartig verlaufen, dürfte jedem auffallen, der eine Zeitlang die Märkte verfolgt.
Diese Beobachtungen stellen den Ansatzpunkt für das Orderflow Trading dar. Dabei geht es kurz gesagt darum, dass der Trader den Charakter des Orderflows und damit den aktuellen Marktzustand richtig beurteilt, um auf Basis seiner Einschätzung kurze und schnelle Trades auszuführen (Scalping). Der Orderflow Trader, der erkennt, dass der Markt momentan von Kauforders geflutet wird, will auf dieser Welle mitreiten und sofort ebenfalls kaufen. Er wird seine Position eine kurze Zeit halten und sofort schließen, sobald er bemerkt, dass der Fluss an Kauforders versiegt und die erwartete Kursbewegung an ihr Ende kommt oder sich gar nicht erst wie erwartet entfaltet. Solche Trades dauern oft nur Sekunden oder wenige Minuten und schneiden nur kurze Strecken aus der Kursbewegung heraus. Dafür findet der erfahrene Orderflow Trader in lebhaften Märkten täglich Dutzende Gelegenheiten, um zu profitieren.
Bild 1: Ab zirka 12:00 Uhr war ein deutlicher Orderflow von Kauforders zu erkennen, der zu einer Aufwärtsbewegung in vier großen Schüben (grüne Pfeile) sowie in den Zwischenphasen zur Ausbildung stabiler Preislevels (rote Linien) führte. Dieser Orderflow versiegte schließlich gegen 13:45 Uhr, was zu einem umgekehrten Kursverhalten führte (blauer Pfeil).
Bild 2: Abends herrscht üblicherweise kein starker Orderflow; der Kurs bewegt sich in einem sehr engen Bereich. Die Bewegungen erscheinen für den Orderflow Trader hier als zufallsgeleitet und nicht sinnvoll handelbar. Kursbewegungen sind nicht mehr antizipierbar; auch die größere Bewegung zwischen 20:45 und 21:00 Uhr war nicht abzusehen.
Das Gewinn- und Verlustpotenzial einzelner Orderflow Trades wird dabei vergleichsweise gering sein. Der Orderflow Trader macht seinen Tagesgewinn aus vielen kleinen Einzel-Trades. Das Chance/Risiko-Verhältnis (CRV) wird sich im Bereich um 1:1 bewegen (Stopp-Loss und Take Profit sind ungefähr gleich weit vom Einstieg entfernt), also auf einem Level, das für viele andere Trading-Ansätze inakzeptabel wäre.
Der Grund, warum Orderflow Trader mit derartigen CRVs und vergleichsweise kleinen Gewinnen (über)leben können, liegt darin, dass sie eine außergewöhnlich hohe Trefferquote vorweisen können beziehungsweise müssen: Erfolgreiche Orderflow Trader kommen auf einen Anteil an Gewinn-Trades von 75 Prozent und mehr. Da hierbei nicht auf einzelne Orders reagiert wird, sondern auf größere Marktvorgänge, werden die Wahrscheinlichkeiten zugunsten des Traders verschoben: Wo auffällig starke Kaufaktivitäten vorherrschen, kann davon ausgegangen werden, dass diese auch noch einige Sekunden oder Minuten anhalten und nicht in der nächsten Sekunde abrupt zu Ende sein werden.
Was als auffällig starke Kauf- oder Verkaufsaktivität zu betrachten ist, hängt natürlich vom Auge des Betrachters ab. Das macht die Besonderheit dieses Ansatzes aus: Orderflow Trader haben ein geschultes Auge, das sie erkennen lässt, was geschieht. Sie traden deshalb in der Regel auch nackte Charts, also ohne Indikatoren und mit allenfalls einigen wenigen eingezeichneten Marken zur Orientierung. Der Blick richtet sich vor allem auf die präsente Marktdynamik – auf das Hier und Jetzt des Orderflows. Anders als bei allen anderen Trading-Ansätzen steht beim Orderflow Trading also gar nicht die Frage „Was muss ich wann tun?“ im Vordergrund, sondern „Was passiert gerade im Markt; wie ist der Orderflow?“. Hat der Trader das nämlich erkannt, erübrigt sich nahezu die Frage, wie er darauf zu reagieren hat.
Wie aber lernt der Trader, den Orderflow zu erkennen? Es handelt sich dabei um eine aus Markterfahrung gespeiste Fähigkeit. Der Trader muss einen bestimmten Markt über eine längere Zeit hinweg aktiv beobachtet haben, um zu lernen, wie sich dieser üblicherweise verhält. Dabei genügt es nicht, einfach nur auf den Bildschirm zu starren. Der Trader muss sich mit dem wahrgenommenen Geschehen auch aktiv auseinandersetzen, analytisch denken, interpretieren und für das von ihm Beobachtete zu deuten lernen.
Erfolgreiches Orderflow Trading gründet sich also nicht auf bloßem Theoriewissen, sondern auf einer echten Fähigkeit. Dabei sollten hier zwei Ebenen unterschieden werden: zum einen die Marktkompetenz im engeren Sinne, zum anderen das psychische Profil des Traders. Mit Marktkompetenz ist die Fähigkeit des Traders gemeint, die aktuelle Marktsituation, also den Charakter des Orderflow, adäquat einzuschätzen. Diese Kompetenz kann nur durch gezielte Marktbeobachtung aufgebaut werden. Das lernt man am besten unter Anleitung, weshalb das Orderflow Trading auch geradezu prädestiniert dafür ist, von kompetenten Mentoren vermittelt zu werden. Geeignet sind hierfür längerfristig angelegte Online-Angebote wie Trading Rooms, Skype-Gruppen oder professionelle Coaching-Angebote, wobei allerdings nicht unterschlagen werden darf, dass viele Anbieter in diesem Bereich völlig unseriös sind.
Die psychologische Seite stellt dabei die wohl noch größere Hürde dar: Nicht das Einschätzen der Marktlage ist nämlich das Schwierige, sondern ohne mechanisches Handelssystem oder Indikatoren nur der eigenen Marktkompetenz zu vertrauen und auf dieser Basis kontinuierlich Trades einzugehen. Doch auch wer nicht die Nerven aufbringt, in diesem Sinne „freihändig“ zu traden, kann durch einen geschulten Blick für den Orderflow in anderen Trading-Ansätzen einen Vorteil für sich herausschlagen. So kann das Erkennen des Orderflows auch bei indikatorengestützten System-Trades eine gute Unterstützung zur Entscheidung über Ein- und Ausstiege sein.
Das Orderflow Trading setzt nicht nur spezielle persönliche Qualifikationen des Traders voraus, sondern auch, dass dieser über eine auf diesen Trading-Stil zugeschnittene technische Ausstattung und Börsenanbindung verfügt. Die meisten Orderflow Trader arbeiten in Futures-Märkten, da hier eine hohe Liquidität sowie qualitativ hochwertige Marktdaten gewährleistet sind. Wichtig ist dabei nicht nur die Echtzeitqualität der Marktdaten, sondern auch eine schnelle und professionelle Handelsplattform, welche die Daten für den Trader so aufbereitet, dass sie für ihn visuell optimal erfassbar sind. Hierzu gehören ein präziser Echtzeit-Chart (einige Orderflow Trader nutzen sogar nur Tick-Charts) sowie eine Auflistung der im Markt ausgeführten Orders.
Ferner sollte der Orderflow Trader über eine möglichst direkte Börsenanbindung verfügen, damit die eigenen Trades mit geringstmöglicher Latenz zur Ausführung kommen. Da hier zum Teil nur für Sekunden agiert wird, kommt es stark darauf an, günstige Ein- und Ausstiege zu bekommen. Wie überall im Trading konkurriert auch der Orderflow Trader mit anderen Händlern und es gewinnt derjenige, der schneller Entscheidungen treffen und umsetzen kann.
Orderflow Trading ist im kurzfristigen Bereich eine interessante Möglichkeit, am Marktfluss teilzuhaben und Gewinne zu generieren. Allerdings ist eine umfassende Kenntnis über den Orderflow des zu handelnden Marktes zwingend nötig, um sich hier einen ausreichenden Vorteil zu erarbeiten. Wem das zu kurzfristig ist, der kann den Orderflow auch als Ergänzung seiner Ein- und Ausstiegskriterien auf längerfristiger Basis anwenden.
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